Vacheron Constantin: In der Manufaktur
Sie kennen das. Es gibt gute und bessere Arbeitstage. An einem der besseren durfte ich kürzlich einen ausschweifenden Blick hinter die Kulissen von Vacheron Constantin in Genf werfen. Um das Ganze mal einzuordnen: Wir sprechen hier von der ältesten Manufaktur der gesamten Uhrenindustrie, die seit 1755 durchgehend produziert. Die Betonung liegt an dieser Stelle auf durchgehend, was der Marke nicht nur Kontinuität verleiht, sondern auch einen Platz in den Geschichtsbüchern sichert. Seitdem ist viel passiert. Standort, Eigentümer und auch die Zeitmesser selbst haben sich verändert. Nicht so das Bekenntnis zu technischer und gestalterischer Exzellenz, das Vacheron Constantin seit Generationen in die Spähren der Haute Horlogerie hebt. Die Marke gehört zum inoffiziellen Club der „Holy Trinity“ der feinen, schweizer Uhrenmanufakturen. Eine von dreien, neben Audemars Piguet und Patek Philippe. Nachdem ich im vergangenen Jahr meinem Faible nachgegeben und mir selbst eine Vintage Vacheron zugelegt habe, bin ich besonders gespannt, wie viel Handarbeit und Savoir-Faire in die Zeitmesser mit Malteserkreuz fließt. Viel Freude beim Entdecken!
Ortstermin Plan-les-Ouates: where the magic happens
Wer Genf schon einmal per Flugzeug erreicht hat, konnte höchstwahrscheinlich während des Landeanflugs die Dächer der großen Uhrenmanufakturen in Plan-les-Ouates bestaunen. Die Zehntausend-Einwohner-Gemeinde im Kanton Genf ist nämlich Heimat vieler großer Namen, darunter auch Vacheron Constantin. Gute zehn Kilometer ist der Flughafen entfernt, ungefähr genauso weit ist es mit dem Auto in die Genfer City zum berühmten Jet d´eau. Ein Springbrunnen im Genfer See, der pro Sekunde 500 Liter Wasser mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h in 140 Meter Höhe schießt. Heute schieben wir uns aber nicht durch den trägen Stadtverkehr, sondern fahren direkt in die Manufaktur von Vacheron Constantin.
Der imposante Gebäudekomplex wurde 2004 gebaut und von dem schweizer Architekten Bernard Tschumi entworfen. Viel Glas, viel Licht, moderne Materialien und scheinbar schwebende Treppen. Ein vielversprechender Auftakt für den Ort, an dem die Zeitmesser von Vacheron Constantin zu Laufen beginnen.
Tradition & Innovation: Handarbeit, soweit das Auge reicht
Selbstverständlich finden sich in der Manufaktur von Vacheron Constantin modernste Maschinen zur Ver- und Bearbeitung der Rohmaterialien sowie präziseste Messinstrumente zur Überprüfung von Fertigungstoleranzen geringer als die Dicke eines Haares. Am Anfang und Ende eines jeden Prozesses steht allerdings immer ein Mensch. Ob speziell trainierte Operator, Uhrmacher, Konstrukteure oder Kunsthandwerker im Atelier des Métiers d’Art – Handarbeit ist das omnipräsente Fundament in der Produktion hier. Gerade im Vintage Atelier des Kundenservices wird dieser Anspruch besonders deutlich, was mich als Fan historischer Zeitmesser natürlich sofort interessiert.
Vintage Atelier: Für alle Zeitmesser seit 1755
Im Vintage Atelier von Vacheron Constantin werden Zeitmesser gewartet und restauriert, die über 30 Jahren alt sind. Sechs hochspezialisierte Uhrmacher lösen hier das Versprechen der Marke ein, dass jedem Zeitmesser seit 1755 wieder neues Leben eingehaucht werden kann. Dafür müssen oft Ersatzteile anhand alter Skizzen neu angefertigt werden, um die Werke der historischen Preziosen wieder zum Ticken und Schwingen zu bringen. Besonders interessant erscheint mir die Tatsache, dass hierfür ausschließlich alte Fertigungsmethoden genutzt werden – anstelle moderner CNC-Fräsen beispielsweise – um so nah wie möglich an die ursprünglichen Komponenten zu kommen. So viel Aufwand erfordert auch kundenseitig Geduld.
Die Wartungsdauer im Vintage Atelier liegt je nach Aufgabenstellung bei 12 bis 18 Monaten. Nachdem ich mit einigen der Uhrmachern sprechen konnte, würde ich meine Patrimony aus 1973 auch hier abgeben. Irgendwann einmal, denn aktuell läuft das gute Stück noch wie am ersten Tag.
Es ist kompliziert: Wo Tourbillons ticken
Wir wechseln das Atelier und finden uns bei den Großen Komplikationen wieder. Tourbillons sind hier an der Tagesordnung und da wir uns gerade ein solches Kunstwerk anschauen, möchte ich Ihnen folgende Fakten dazu nicht vorenthalten: allein in die Spiegelpolitur ausgewählter Einzelteile des Tourbillons fließen 32 Stunden hochspezialisierter Arbeitszeit. Man stelle sich vor vier volle Tage einer Arbeitswoche auf die Oberflächenbearbeitung winziger Teile zu verwenden, damit sie beim Spiel mit dem Licht in der fertigen Uhr besonders brillant glänzen. Eins wird schnell klar: es erfordert viel Hingabe, Geduld und Erfahrung, um Teil des Entstehungsprozesses eines Tourbillons zu sein, das diese Manufaktur verlässt.
Das Atelier des Métiers d´Art
Die Zeitmesser der Métiers d’Art Kollektion lassen das Erbe besonderer Kunsthandwerke aufleben, wie beispielsweise das Grand-Feu-Email. Hier feiert Vacheron Constantin mit besonderen Zeitmessern den Abenteuergeist berühmter Entdecker wie Bartolomeu Dias, Vasco da Gama und Pedro Álvares Cabral in Form der Limited Edition „Hommage aux Grands Explorateurs“. Jedes der aus Grand-Feu-Email gefertigten Zifferblätter zeigt hier ausgewählte Teile einer Karte aus dem Jahr 1519, die dem Atlas Miller entnommen ist. Voilà:
Die Manufaktur von Vacheron Constantin: one of not many
Unsere Tour durch die heiligen Hallen von Vacheron Constantin neigt sich dem Ende zu. Heritage Director Christian Selmoni zeigt uns abschließend noch ausgewählte Sammlerstücke der Kollektion. Er ist schon seit den 1990er Jahren bei Vacheron und hat den Aufstieg und das Wachstum hautnah miterlebt und -geprägt. Einer Manufaktur, die Geschichte lebt und erlebbar macht. Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet, um auch morgen noch die Uhren von damals restaurieren zu können. Um immer wieder unter Beweis zu stellen, dass sich die Haute Horlogerie in den Bereichen Technik, Alltagstauglichkeit und Materialien stetig weiterentwickelt, ohne ihr Erbe zu vergessen und dass Vacheron Constantin einer der wichtigsten Akteure in diesem Prozess ist, der global beobachtet und von Sammlern rund um die Welt geschätzt wird. Nicht jeder wird die Möglichkeit bekommen, selbst hinter die Kulissen der Manufaktur zu schauen. Deshalb bleibt zu hoffen, dass meine Eindrücke die Liebe zum Detail und die Bedeutung von Handarbeit sowie die omnipräsente Komponente Mensch als Fundament im Entstehungsprozess der Uhren von Vacheron Constantin transportieren konnten.
Weitere Information zu Vacheron Constantin finden Sie auf der Seite der Manufaktur hier.
Text & Bilder © David Schank, Watchlounge