Interview – Guido Terreni, CEO Parmigiani Fleurier

Ortstermin Fleurier. Die beschauliche Gemeinde im Schweizer Kanton Neuchâtel liegt stattliche 741 Meter über dem Meeresspiegel und fügt sich in eine echte Bilderbuchlandschaft ein. Nach Genf sind es mindestens anderthalb Stunden mit dem Auto. Bei starkem Verkehr gerne deutlich mehr. Wir sind an diesem sonnigen Herbsttag mit Guido Terreni verabredet. Seit 2021 lenkt er als CEO die Geschicke der Luxusuhrenmarke Parmigiani Fleurier. Eine der letzten echten Manufakturen – darauf ist man hier sehr stolz. Vor allem auf die beachtenswerte Fertigungstiefe, die wir an diesem Tag entdecken können. Schließlich ermöglicht uns Terreni vor unserem Gespräch einen Blick hinter die Kulissen hochspezialisierter Fachbetriebe wie der Werkeschmiede „Vaucher“, dem Gehäusemacher „Les Artisans Boitiers“ sowie dem Zifferblatthersteller „Quadrance & Habillage“. Wie auch Parmigiani Fleurier gehören die feinen Zulieferer der Sandoz Familienstiftung an, was für kurze Wege und ein Zusammenspiel von Komponenten höchster Qualität sorgt. Ein Beispiel kunstvoller Gehäusebearbeitung gefällig? Voilà: 

In unserem Gespräch stellt Terreni von Beginn an klar, worin er das Potenzial seiner Marke sieht, die sich dem feinen, ästhetischen Minimalismus verschrieben hat und warum er nach seinem Start vor gut drei Jahren keinen Stein auf dem andern ließ.  

Guido Terreni
Seit 2021 lenkt Guido Terreni als CEO die Geschicke von Parmigiani Fleurier

Sehr geehrter Herr Terreni, die Tonda PF-Modelle waren der große Durchbruch für Parmigiani Fleurier in Sachen Bekanntheit und Nachfrage. Was macht den Erfolg der Modelle für Sie aus?

 Dafür muss ich ein bisschen weiter ausholen. Ich habe bei Parmigiani Fleurier am 26. Januar 2021 angefangen und die ersten beiden Tage damit verbracht, alle Mitarbeiter in persönlichen Gesprächen kennenzulernen. Ich wollte wissen, wie ihre Idee unserer Marke aussieht. Am dritten Tag habe ich alle Produktentwicklungen gestoppt, die in meinen Augen nicht mit unserer Identität als Brand übereinstimmten. Die wichtigste Änderung war die Abschaffung des ausgeschriebenen Schriftzugs „Parmigiani Fleurier“, der durch das PF-Siegel ersetzt wurde, das Michel Parmigiani schon in den frühen Tagen der Marke entworfen hatte. Als wir die Tonda PF 2021 auf den Markt gebracht haben, zeichnete sie sich durch eine Ästhetik aus, die wir „minimal rich style“ nennen. Die Idee ist sehr rein und simpel, aber das Handwerk hinter dem Produkt ist auf dem höchstmöglichen Niveau.

Parmigiani Fleurier
Begehrte Preziose: die Tonda PF Skeleton

Was folgte war eine echte Nachfragewelle. Wie sieht es heute mit der Verfügbarkeit aus?

Das hat uns wirklich überrascht, und ich habe in dieser Dimension auch nicht damit gerechnet. Nur um das kurz einzuordnen: Stellen Sie sich eine Marke vor, die innerhalb von drei Monaten durch die Decke geht, weil sie nicht bloß neu positioniert wurde, sondern eine komplette Reaktivierung durchlaufen hat. Das zeigt auch unser Umsatz, der sich im Vergleich zu 2021 fast verfünffacht hat. Im selben Maße konnten unsere Produktionszahlen allerdings nicht zulegen, da diese Prozesse einfach mehr Zeit in Anspruch nehmen. Wir sind aber dabei, die Wartelisten der Tonda PF Modelle Schritt für Schritt abzuarbeiten. Die Tonda PF GMT hatte im Jahr 2022 beispielsweise eine Wartezeit von circa 12 Monaten. Im Jahr 2023 waren es nur noch sieben Monate. Jeder, der sich eine Parmigiani Fleurier kaufen möchte, sollte sie auch zeitnah erwerben können. Daran arbeiten wir.

Vaucher
Vaucher fertigt die Manufaktur-Werke für Parmigiani Fleurier

Wie bewerten Sie nach dem rekordverdächtigen Jahr 2022 den Vergleich mit dem gerade abgelaufenen 2023?

Es war erneut ein Rekordjahr für uns, mit großem Abstand übrigens. Nach 3 Jahren sind wir das Fünffache der Marke, die ich vor meiner Ankunft gefunden habe. Immer mehr Kunden weltweit sind auf der Suche nach unseren Uhren und wir versuchen, die zeitliche Lücke zwischen ihrer Bestellung und unserer Lieferung zu verkleinern. Zudem darf bei dieser Betrachtung nicht vergessen werden, dass unsere Uhren einen Durchschnittspreis von 40- bis 50.000 Schweizer Franken haben. Die meisten unserer Kunden werden ihre Kaufgewohnheiten auch angesichts von Inflation und gestiegenen Energiekosten nicht ändern. Deshalb glaube ich auch nicht, dass eine Marke unserer Größe stark von externen Faktoren beeinflusst wird. Es ist die Begehrlichkeit, die den Erfolg ausmacht.

Parmigiani Fleurier
In Fleurier befindet sich der Parmigiani-Hauptsitz in dieser historischen Villa

Wann werden Sie, bei so konstant hoher Nachfrage, die Schallmauer von 10.000 Uhren pro Jahr durchbrechen?

In der Schweiz gibt es ein altes Sprichwort, das ich liebe. Es lautet: „Man kann nicht schneller sein als die Musik“. Die Musik hat ihr eigenes Tempo und wir müssen dem Tempo der Musik folgen. Ich bin sehr zufrieden mit unserem Wachstum und weiß, dass es unmöglich ist, den Umsatz oder die Produktionskapazität jedes Jahr zu verdoppeln.

Parmigiani Fleurier
Bevor die Uhren die Manufaktur verlassen, müssen sie die strenge Qualitätskontrolle passieren

Sie sind hauptsächlich in Nordamerika, Asien und Europa tätig. Wo sehen Sie neue Marktanteile für Parmigiani Fleurier?

Wir sind eine sehr ausgeglichene Marke. Japan macht ¼ unseres Geschäfts aus, was ein wenig ungewöhnlich ist und sogar mehr als der Export der Uhrenindustrie, der 7% beträgt. Der Rest verteilt sich gleichmäßig zwischen Großraum China, Amerika und Europa. Dabei sehe ich noch sehr viel Wachstumspotenzial, denn wir sind noch nicht auf allen wichtigen Märkten vertreten. Zum Beispiel in Taiwan, Dubai oder Australien sind wir noch nicht. Sie sehen, es gibt zahlreiche potenzielle Märkte, die wir noch erschließen können. Zunächst müssen wir aber unseren derzeitiges Retailer-Netzwerk bedienen, das seit meinem Amtsantritt bereits um zwei Drittel reduziert wurde.

Zwei-Drittel ist ja fast schon ein Kahlschlag. Wie viele Türen sind denn geblieben?

Weniger als 100 weltweit. Für uns ist Qualität viel wichtiger als Quantität.

Parmigiani Fleurier
Blick aus dem historischen Restaurationsatelier auf das Verwaltungsgebäude der Manufaktur

Sie haben Ihre Einzelhandelsaktivitäten in Deutschland stark auf Juwelier Wempe ausgerichtet. Ein klares Bekenntnis zum Multibrand-Retailer. Wie stehen Sie zu den aktuellen Boutique-Trends in der Branche?

Wahrscheinlich anti-Mainstream, wie ich es in meinem ganzen Leben schon immer war. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die jetzt sagen, dass Monobrand-Boutiquen der einzig richtige Weg sind. Für internationale Megabrands funktioniert dieses Konzept und für die Modeindustrie auch. Aber wir bedienen einen Kunden, der beraten werden möchte. Der ein Gespräch führen und vergleichen will. Und das ist es, was viele der Multibrand Retailer noch nicht konsequent umsetzen. Von diesen Einzelhändlern sind 90 Prozent seit Generationen im Familienbesitz. Sie haben meist sehr lange Verbindungen zu ihren Stammkunden, schöpfen ihr volles Potenzial aber nicht immer aus. Wenn ich ein Multibrand-Retailer wäre, würde deshalb gewisse Dinge anders machen. Zum Beispiel keine Events mit bloß einer Marke durchführen. Stattdessen würde ich Veranstaltungen über Uhren mit Mikro-Rotoren, Ewigen Kalendern und Chronographen kreieren. Ich würde alle meine Kunden einladen, sie für das Thema begeistern und ihnen die gesamte Palette meines Portfolios dazu zeigen. Erst dann können die Kunden direkt vergleichen, und das ist es, was sie von einem wirklich guten Einzelhändler erwarten.

Guido Terreni
Parmigiani Fleurier CEO Guido Terreni am Tag unseres Interviews

Wir schließen immer mit 3 kurzen Fragen ab, die mit „Was“ beginnen.

1. Was motiviert Sie jeden Tag?

Ich liebe es, Ideen zu entwickeln und Prozesse voranzutreiben, die mir am Herzen liegen. Zu sehen, wie technische und kreative Teams zusammenarbeiten, um etwas zu erreichen, das sie allein nie hätten erreichen können.

2. Was ist Ihr Rat an junge Menschen?

Nehmt euch Zeit zum Lernen. In meinen Augen ist es wichtig, dass man nicht überstürzt in das Arbeitsleben startet, denn die Karriere sollte das Ergebnis des eigenen Wissens sein. Und Wissen kommt von Erfahrung, und Erfahrung kommt von Begegnungen sowie der Arbeit mit Menschen. Außerdem ist es wichtig, den Mut zu entwickeln, seine Ideen zu verteidigen. Entscheide dich für Plan A und mach keinen Plan B. Dadurch wird dein Plan stärker.

3. Was was lernen Sie gerade, was Sie noch nicht wissen?

Eine ganze Menge. Wir befinden uns in einer Situation, in der wir vor einem großen Fragezeichen stehen, was die zukünftige Größe unseres Unternehmens betrifft. Das ist nichts, was man durch ein statistisches Modell oder die jüngsten Umsatzzahlen berechnen kann. Umso größer das Unternehmen wird, desto mehr steht auf dem Spiel, wenn man beispielsweise entscheidet, welche Produkte auf den Markt kommen. In diesen Momenten können Sie all ihre Erfahrung einbringen und mit all Ihren Ratgebern sprechen. Am Ende sind Sie mit der Entscheidung trotzdem allein.

Das Gespräch führte David Schank. Weitere Informationen zu Parmigiani Fleurier finden Sie auf der Seite der Manufaktur hier


Bild 5 ©Parmigiani Fleurier • Bilder 1-4 & 6-11 ©David Schank, Watchlounge