Interview: Serge Laurent von Van Cleef & Arpels über Moby Dick und Dance Reflections
Düsseldorf im Herbst. Die Sonne scheint mit leuchtender Kraft durch die dicht behangenen Kastanien und Platanen auf der Königsallee. Bis zu den kalten Wintertagen sind es noch einige Wochen. Am Vorabend durften wir einer Vorpremiere der Robert-Wilson-Inszenierung von „Moby Dick“ im Düsseldorfer Schauspielhaus beiwohnen. Ein echtes Spektakel für alle Sinne, das die amerikanische Regie-Legende zumindest kurzzeitig in der Rheinmetropole hat heimisch werden lassen. Damit Kulturstädten wie das Schauspielhaus seinen Gästen solch fulminante Inszenierungen von international bekannten Genre-Persönlichkeiten wie Robert „Bob“ Wilson liefern können, bedarf es externer Unterstützung. Deshalb hat Van Cleef & Arpels im Jahr 2020 das Programm „Dance Reflections“ gestartet. Wes genau hinter dieser Kulturinitiative steckt besprechen wir mit Serge Laurent. Als Direktor der Tanz- und Kulturprogramme des Pariser Traditionsjuweliers ist er der ideale Gesprächspartner für unser Interview.
Watchlounge: Herr Laurent, wie können wir uns Ihre Rolle als Direktor der Tanz- und Kulturprogramme bei Van Cleef & Arpels vorstellen und wie kamen Sie überhaupt an den Job, der 2019 eigens für Sie geschaffen wurde?
Als die Maison damals an mich herangetreten ist, um über dieses neue Programm zu sprechen, wurde mir schnell klar, dass es meine Aufgabe darin liegen wird, eine Geschichte weiterzuschreiben. Es gibt schließlich eine lange Verbindung zwischen Van Cleef & Arpels mit dem Tanz. Bevor ich den Job zusagte, stand deshalb für mich etwas Recherchearbeit auf dem Programm, um den Zusammenhang zwischen dem Tanz als Inspirationsquelle und der Gründung der Maison zu verstehen. Umso tiefer ich in das Thema einstieg, desto spannender fand ich die Story: Ist es nicht wahnsinnig interessant, dass ein Pariser Juwelier die Inspiration für seine Gründung aus dem Tanz zog? Im Gespräch mit Nicolas Bos, dem damaligen CEO von Van Cleef & Arpels (Anm. d.Red. Seit diesem Jahr ist Bos der CEO von Richemont), wurde mir klar, dass man diese Beziehung durch ein neues Engagement im Bereich des Tanzes unterstreichen und weiter ausbauen wollte, was mir sehr gefiel. Gerade in Europa entwickeln wir auf diesem Feld nicht gerade viel, weil die meisten Produktionen von öffentlichen Geldern abhängig sind. Wenn man dagegen nach Amerika schaut, geben Unternehmen auch im kulturellen Bereich gerne etwas an die Gesellschaft zurück, weil sie sich in diesem Kontext auch selbst weiterentwickeln. Ich fand diese Idee sehr interessant und für uns in Europa zudem ziemlich modern. Daran mitzuwirken, klang für mich sehr spannend und deshalb ich sagte zu.
Watchlounge: Sie haben zuvor für das Pariser Centre Pompidou gearbeitet, eine öffentliche Kultur- und Kunsteinrichtung. Nun stehen Sie auf der Gehaltsliste von Richemont. Was hat Sie an dem Wechsel zu einem börsennotierten Luxuskonzern gereizt?
Als ich mir Van Cleef & Arpels genau ansah, stellte ich schnell fest, dass wir es mit einer Maison der Schöpfung zu tun haben und die Schöpfung auch für jede Art der Kunst ein wesentlicher Bestandteil ist. Wir beschlossen von Beginn an, das Programm mit diesem Esprit aufzusetzen, um die Geschichte der Maison und des Tanzes fortzusetzen, die in den 1930er und 1940er Jahren so erfolgreich begann. Als ehemaliger Kurator einer öffentlichen Einrichtung, die mit Künstlern zu tun hat, aber auch mit, sagen wir mal, den Schwierigkeiten bei der finanziellen Förderung des kreativen Schaffens, war es für mich relativ einfach zu sehen, wo wir aktiv werden können. Die Kurzform des Ganzen lautet: Wir unterstützen Kultureinrichtungen bei der Schaffung neuer Werke.
Watchlounge: Damit meinen Sie vor allem finanzielle Hilfen?
Finanziell, natürlich. Deshalb haben wir auch sofort damit begonnen, ein Netzwerk von Partnern aufzubauen. Ich habe all die Leute kontaktiert, mit denen ich bereits zuvor in verschiedenen Ländern in Verbindung stand. Natürlich habe ich mich vor allem die gewandt, von denen ich wusste, dass wir in Bezug auf künstlerische Themen einen gemeinsamen Nenner haben oder finden können. Jetzt haben wir etwa 60 Partner in 16 verschiedenen Ländern. Für mich ist das eine Möglichkeit, die von uns unterstützten Künstler und Produktionen auch in Form von Tourneen mit unterschiedlichem Publikum in vielen verschiedenen Kontexten zusammenzubringen.
Watchlounge: Das Düsseldorfer Schauspielhaus zählt seit diesem Jahr auch zu den Einrichtungen, die sich über die Unterstützung von Van Cleef & Arpels freuen dürfen. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Den Vertrag dazu haben wir schon im vergangenen Jahr in trockene Tücher gebracht, aber ich finde es ziemlich aufregend, weil es ein komplett neues Projekt für uns ist. Zunächst einmal haben wir den Wunsch, verschiedene Regionen der Welt zu erreichen, aber auch Partnerschaften mit Künstlern einzugehen, die unsere Werte teilen und mit denen wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen können. Das ist in hier der Fall, weil wir, eine lange Geschichte mit Bob Wilson haben und wir „Moby Dick“ als seine neueste Arbeit unbedingt unterstützen wollten. Als wir Bob darauf ansprachen, sagte er: „Oh, ich habe diesen Partner in Düsseldorf.“ Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich ehrlich gesagt noch nichts über diesen Ort.
Watchlounge: Apropos „Moby Dick“ und Bob Wilson: Er gilt als international gefeierter Star auf dem Gebiet der Inszenierung. Was ist das Besondere an der Arbeit mit Bob? Warum ist sie so inspirierend?
Die Geschichte des Maison mit Bob Wilson beginnt schon im Jahr 2015 und wurde von unserem früheren CEO Nicolas Bos initiiert. Wenn Sie mich fragen, welche Art von Künstlern ich als Kurator gerne fördere, dann sind es Künstler, die etwas gefunden haben. Es sind Menschen, die ihr eigenes Vokabular besitzen und ihre eigene Stimme in Bezug auf ihr Schaffen gefunden haben. Wenn man sich die Arbeiten von Bob Wilson anschaut, gefällt mir, dass dieser 82-jährige Mann mit einer starken Karriere und seinem künstlerischen Ansatz so einzigartig und sehr spezifisch ist. Wenn Sie ein Werk von Bob Wilson sehen, werden Sie die besondere Wirkung spätestens dann verstehen, wenn Sie es ein zweites Stück von ihm anschauen. Als Künstler muss man sehr stark und sehr engagiert sein, um sich nicht von all den Kritikern und Meinungen um einen herum stören zu lassen. Das zeichnet für mich einen Künstler vom Kaliber eines Bob Wilson aus.
Watchlounge: Welchem Publikum würden denn Sie ans Herz legen, Moby Dick im Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen?
Dieses Stück ist ein visuelles Kunstwerk. Es ist ein Musikstück. Es stützt sich auf ein sehr interessantes Buch und ist in der Originalfassung ziemlich komplex. Bob Wilson hat es mit seiner Inszenierung sehr zugänglich gemacht und zudem wirklich interessante Charaktere herausgearbeitet. Deshalb denke ich, dass man bedenkenlos jeder Art von Publikum empfehlen kann. Man kann es sich ansehen und seinem Geist freien Lauf lassen. Man kann es sich bloß anhören. Man kann über das Buch nachdenken, wenn man es kennt. Ich habe zum Beispiel gar nichts verstanden.
Watchlounge: Aber sicher nur in Bezug auf die Sprache, weil es auf Deutsch war?
Exakt, es war auf Deutsch und ich habe mich trotzdem nicht gelangweilt, weil ich alles mitbekommen konnte, was für mich erreichbar war. Was ich an jeder Art von Kunst mag, ist, wenn man als Teil des Publikums komplett frei ist. Man ist frei, der Geschichte genau zu folgen. Wenn es sich um Theater oder Tanz handelt, kann man die Aufführung vorher lesen oder was auch immer. Sie können auch einfach auf eigene Faust hingehen und bekommen, was Sie wollen, ohne vorab etwas zu wissen. Diese Kunst ist für alle.
Watchlounge: Was uns besonders gefallen und auch überrascht hat, waren die zahlreichen unerwarteten Elemente in einem Schauspiel. Etwa die Rockmusik, die exakte Choreografie von Mimik und Gestik und die minutiös einstudierten Bewegungen zur Musik.
Was ich an der zeitgenössischen Kunst im Allgemeinen sehr mag, ist das Unvorhersehbare. Natürlich hat ein Künstler wie Bob Wilson ein sehr treues Publikum, aber die Ausstellung ist offen für alle und jeden. Nachdem man diese Erfahrung gemacht hat, steht es einem frei, sie fortzusetzen oder nicht. Man lebt eine Erfahrung. Es ist wie das Testen eines neuen Gerichts oder einer neuen Küche. Man kann es schätzen oder nicht, aber man hat etwas erlebt. Du hast eine neue Erfahrung gemacht und durch Erfahrungen wird man erwachsen. Es ist wie eine Reise.
Das Gespräch führte David Schank.
Weitere Informationen zu Dance Reflections und dem kulturellen Engagement von Van Cleef & Arpels finden Sie hier.
Bilder ©David Schank, Watchlounge